Hiroshima/Miyajima
Tagebuchseiten
Hiroshima, 17.10.2009
Heute Morgen ist es in Himeji stark bewölkt, doch trocken. Weil ich gestern so viele Sachen besichtigt habe, bleibt für heute nur ein Zugtransfer übrig. Da die Hotels die Zimmer in der Regel erst nachmittags für neue Gäste bereitstellen, will ich die Fahrt nicht allzu früh antreten. Gegen 10:30 Uhr checke ich aus, gehe dann gemächlich zum Bahnhof, finde dank der sehr guten Beschilderung schnell den richtigen Bahnsteig und warte auf meinen Zug. Selbstverständlich auf die Minute pünktlich trifft der Hikari Rail Star Superexpress von Shin Osaka nach Hakata ein. 63 Minuten nachdem ich eingestiegen bin, steige ich im 250 Kilometer entfernten Hiroshima wieder aus. Am Tourismus-Informationsschalter ist sehr viel los, und so ist es praktisch, dass man Stadtpläne zum Mitnehmen ausgelegt hat. Dass meine Unterkunft, das Granvia Hotel, direkt am Bahnhof liegt, weiß ich dieses Mal von meinem Reiseveranstalter. Ich finde es sehr schnell. Der Check-in ist erst in einer Stunde möglich, ich kann aber solange mein Gepäck hier deponieren. Ich laufe ein wenig in der Stadt herum, um die Zeit totzuschlagen und um die Restaurantlage für den Abend auszukundschaften. Letzteres verläuft leider nicht sehr erfolgreich.
Um 13:00 Uhr bin ich wieder im Hotel und checke ein. Bald darauf stehe ich in meinem geräumigen Zimmer im 15. Stock und genieße die Aussicht. Das Badezimmer ist ein winziger Käfig, das war in allen Hotels bisher so, das winzige Zimmer in Tokyo bleibt allerdings eine Ausnahme. Nach kurzer Zeit breche ich bei leichter Bewölkung und etwa 25°C auf, um die Sehenswürdigkeiten zu erkunden, die bei meiner vorgebuchten Tour morgen nicht auf dem Plan stehen.
Impressionen aus dem Shukkei-en.
Ich besichtige zunächst den Shukkei-en, einen sehr schönen Garten aus dem 17. Jahrhundert. Er bietet wieder alles, was Gärten hierzulande auszeichnet: Große Teiche, einen Bambushain, eine kleine Teepflanzung, ein kleines Reisfeld, einen Pflaumenbaum- und einen Kirschbaumgarten, knorrige Kiefern, Wasserfälle, Brücken, Wandelgänge und Pavillons. Einer der Pavillons rettet mich, denn während meiner Gartenbesichtigung zieht von den nahen Bergen her eine dunkle Wolke auf und es beginnt in Strömen zu regnen. Zwar wird der Regen bald schwächer, es tröpfelt aber noch eine halbe Stunde lang weiter, bevor es plötzlich wieder sonnig wird. Zum Glück habe ich Zeit. Während ich im Pavillon sitze, kann ich dabei zusehen, wie ein japanisches Hochzeitspaar, beide in traditionellen Gewändern, im Garten professionell fotografiert wird. Etwa eine halbe Stunde nachdem das Wetter sich beruhigt hat, beende ich meinen Besuch im Garten und gehe weiter zu meinem nächsten Ziel, der Burg von Hiroshima. Selbstverständlich hat der Originalbau die Atombombenexplosion nicht überstanden. Das heutige Gebäude stammt aus dem Jahr 1958 und ist offensichtlich ein originalgetreuer Nachbau. Es sieht jedenfalls sehr schön und authentisch aus.
Die Burg von Hiroshima.
Anschließend gehe ich zurück in mein Hotel. Nach einer kurzen Pause will ich erneut die Lage bezüglich des Abendessens erkunden. Es gibt eine lokale Spezialität, auf die ich neugierig bin. Sie nennt sich "Okonomiyaki". Zwar ist das Gericht in ganz Japan zu haben, doch hier in Hiroshima hat es seinen Ursprung. Dem Stadtplan entnehme ich, dass es in der Stadt zwei Zentren mit vielen Okonomiyaki-Restaurants geben soll. Eines davon befindet sich ganz in der Nähe des Südausganges des Bahnhofs. Als ich dort ankomme, sehe ich alles Mögliche, nur kein Restaurant. Aber so schnell gebe ich nicht auf, und schließlich werde ich fündig: Gegenüber des Postamtes befindet sich eine riesige Pachinko- und Slot-Halle. Im sechsten Stock des Gebäudes, so beschreibt es der "Floor Guide", befindet sich das Restaurantzentrum. Ich fahre mit dem Lift hoch und stehe in einer "Restaurantstraße" mitten im Gebäude. Ich setze mich an die Theke eines der Restaurants, bestelle Okonomiyaki Special mit Okraschoten und harre gespannt der Dinge, die nun geschehen.
Auf einer Teppan-Platte wird ein hauchdünner Pfannkuchen gebacken. An einer anderen Stelle werden Nudeln zu einer kreisförmigen Platte geformt und auf der Teppan leicht gebraten. Auf den Pfannkuchen kommen eine Art Krautsalat, fermentierte Sojabohnen und drei Scheiben dünn geschnittener Schinkenspeck. Auf die Nudeln kommt der Belag, den man haben will. In meinem Fall sind das eben kleingeschnittene Okraschoten, ich hätte alternativ auch Zwiebeln, Käse oder andere Beläge nach Wahl haben können. Auch der Schinkenspeck lässt sich auf Wunsch durch Meeresfrüchte ersetzen. Oben drauf kommen drei Blätter Minze. Nach einer gewissen Garzeit werden die beiden Haufen kombiniert, so dass Nudeln und Pfannkuchen außen sind. Die Nudeln sind jetzt unten. Nun wird ein Ei auf der Teppan aufgeschlagen und schon nach etwa zwei Sekunden wird der Rest auf das noch nicht fertige Spiegelei gelegt. Gleich darauf wird alles umgedreht. Das weiße Eiklar wird ordentlich mit einer leicht süß schmeckenden Sojasauce bestrichen. Ihr Geschmack erinnert mich ein wenig an Lebkuchen. Oben drauf kommen nun Pfeffer, Kräuter und zwei Okraschotenstücke als Garnitur. Wenige Sekunden später wird das fertige Gericht an den Rand der Teppan geschoben, an dem der Gast sitzt. Ich kann mit einer Art Spachtel Stücke abschneiden, auf einen kleinen Teller schieben und sie von diesem aus mit Stäbchen essen. Es schmeckt richtig gut und ist mit 1260 Yen alles andere als teuer. Die Standardvariante ohne besonderen Belag würde sogar nur 780 Yen kosten. Ich trinke ein Asahi vom Fass für 450 Yen dazu und habe damit sehr gut und günstig diniert.
Nach dem Essen gehe ich zurück ins Hotel. Im Zimmer finde ich eine unter der Tür durchgeschobene Nachricht vor: Ich werde morgen um 10:30 Uhr in der Lobby zu einer Tour abgeholt. Das wusste ich zwar schon vorher, aber lieber einmal zu oft benachrichtigt als gar nicht.
Im Anschluss spaziere ich ein wenig durch das nächtliche Hiroshima. Die einzigen Bezirke, in denen abends etwas los ist, sind der Nagaregawa und der Yagenbori District, etwa eineinhalb Kilometer von meinem Hotel entfernt. Hier gibt es viele Pachinko-Hallen, Geschäfte, die länger offen haben als die in anderen Stadtbezirken, Restaurants, Bars und, ganz dezent, ein wenig Rotlicht. In der restlichen Stadt sind, wie ich auf dem Rückweg feststelle, die Bürgersteige hochgeklappt. Also klappe ich meinen jetzt ebenfalls hoch.
Hiroshima, 18.10.2009
Heute ist ein wunderschöner Tag in Hiroshima und Umgebung. Die wenigen Wolken, die am Morgen Teile des Himmels bedecken, lösen sich mit der Zeit auf und es ist etwa 24°C warm. Ich habe viel Zeit, da die Besichtigungstour erst spät beginnt. Ich schlafe etwas länger, gehe zum nahen Bahnhof, um mir für meine morgige Zugfahrt einen Platz zu reservieren, und spaziere anschließend durch das sonntägliche Hiroshima, in dem fast alle Geschäfte geöffnet haben.
Um 10:30 Uhr werde ich schließlich zusammen mit einigen anderen Gästen in der Lobby meines Hotels abgeholt. Wir steigen alle in einen Bus, holen weitere Teilnehmer aus einem anderen Hotel ab und fahren aus der Stadt hinaus auf eine Autobahn. Nach insgesamt einer knappen Stunde erreichen wir eine kleine Küstenstadt, in der wir eine Fähre besteigen, die uns auf die Insel Miyajima bringt. Bereits auf der Überfahrt sieht man von Weitem eines der berühmten Ansichtskartenmotive Japans, das "schwebende Torii", das den Eingang zum Itsukushima-Schrein markiert. Wenn nicht gerade Ebbe ist, steht es mitten im Wasser. Im Augenblick ist der Wasserstand hoch genug, um es vermeintlich im Wasser schweben zu sehen. Es stammt aus dem Jahr 1875 und ist die achte Version des Tores, das im 12. Jahrhundert erstmals hier errichtet wurde. Ebenfalls aus dem 12. Jahrhundert stammt der Schrein selbst. Er wurde anstelle eines Schreins aus dem 6. Jahrhundert errichtet. Zwei Originalgebäude sind sogar noch erhalten, die anderen Bauten sind Rekonstruktionen jüngeren Datums. Zwar ist hier wieder das übliche Gebäudeensemble eines Shinto-Schreins vorhanden, es ist jedoch bemerkenswert, dass die Gebäude rot gestrichen sind. Die Farbe soll böse Geister fernhalten. An einer Stelle innerhalb des Schreins hat man das berühmte Postkartenpanorama mit dem Torii in der Mitte. Auch ich muss es selbstverständlich auf meine Speicherkarte bannen. Es ist wahrhaftig ein einzigartig faszinierender Anblick. Außer dem Schrein selbst sehen wir einen schönen Pavillon und eine fünfstöckige Pagode sowie einen Park voller japanischer Ahornbäume. Fast alle Blätter sind noch grün, nur wenige Bäume beginnen schon, ihr rostrotes Herbstkleid anzulegen.
Der Itsukushima-Schrein in Miyajima.
Im Anschluss gibt es 50 Minuten Zeit zur freien Verfügung, in der man durch eine belebte Straße voller Geschäfte und Restaurants schlendern, oder das eine oder andere Foto schießen kann, ständig auf der Hut vor den überall frei herumlaufenden zahmen Rehen, die den Touristen in unbedachten Momenten Papiere und andere Gegenstände aus der Hand reißen und fressen.
Links: Herbstlicher Park. Rechts: Fünfstöckige Pagode.
Um 14:15 Uhr trifft sich die Gruppe samt Reiseleiter wieder an der Fährstation. Zehn Minuten später setzen wir auf die Insel Honshu über und steigen wieder in den Bus. Wir fahren zurück nach Hiroshima, um sehr sehenswerte, wenn auch ziemlich beklemmende Dinge zu besichtigen. Unser Ziel ist der Friedenspark. Hier stand einst ein dicht besiedeltes Viertel Hiroshimas, bevor am 6.8.1945 um 8:15 Uhr in 600 Metern Höhe die Atombombe detonierte. Das Hypozentrum lag fast exakt über dem heutigen, weiträumigen Park. Die ehemalige Industrie- und Handelskammer blieb seltsamerweise als einziges Gebäude weit und breit stehen, vermutlich weil das Bronzedach so schnell schmolz, dass das Gebäude offen war und so der Druckwelle besser standhielt. Heute wird die Ruine, die als Mahnmal unter Denkmalschutz steht und UNESCO-Weltkulturerbe ist, als "Atombomben-Dom" bezeichnet.
Im Friedenspark. Oben links: Atombomben-Dom. Oben mitte: Friedensglocke. Oben rechts: Aschenhügel. Unten links: Kinder-Friedensdenkmal. Unten mitte: Kenotaph mit Friedensflamme und Atombomben-Dom im Hintergrund. Unten rechts: Museum.
Im Park kann man die Friedensglocke läuten, auf der eine Weltkarte ohne Grenzen abgebildet ist. Ferner sieht man einen grasbewachsenen Hügel, der aus der Asche der Opfer errichtet worden ist. Ein hohes Denkmal erinnert an ein Mädchen, das als Folge der radioaktiven Strahlung an Leukämie erkrankt ist, an die Legende geglaubt hat, durch das Falten von 1000 Papierkranichen einen Wunsch erfüllt zu bekommen (in diesem Fall natürlich, gesund zu werden), und später dennoch im Alter von zwölf Jahren gestorben ist. Seit der Errichtung des Denkmals schicken Schulklassen aus aller Welt gefaltete Papierkraniche hierher. Sie werden in kleinen Häuschen neben dem Denkmal ausgestellt. Auf der Hauptachse des Parks brennt die Friedensflamme, die erst gelöscht werden soll, wenn es auf der Welt keine Atomwaffen mehr gibt, dahinter steht ein Kenotaph, in dessen Inneren die Namen aller Opfer verzeichnet sind und ein Stück weiter steht das große Friedensmuseum. In ihm befindet sich eine Ausstellung über die Geschichte Hiroshimas vor und nach der Atombombenexplosion, und eine weitere über die Herstellung und Wirkungsweise der Atombombe. Darüber hinaus wird eine Sammlung erschütternder Exponate gezeigt, die unmittelbar die Wirkung der Bombe zeigen, zum Beispiel eine halb geschmolzene Buddhastatue, die Frühstücksdose eines Schulkindes mit völlig verkohltem Inhalt, zusammengeschmolzene Gläser und Porzellantassen, Kleidungsstücke von Opfern und vieles andere mehr. Als das beklemmendste Ausstellungsstück empfinde ich ein Stück einer Steintreppe, die einmal zum Eingang einer Bank führte. Auf ihr ist ein dunkler Fleck zu sehen. Der Fleck stammt von einem Menschen, der zufällig während der Explosion auf der Treppe saß und von der mehrere Tausend Grad heißen Hitzewelle getroffen wurde. Der Stein der Treppe wurde ausgebleicht, der Mensch verdampfte, aber "schützte" durch seine Anwesenheit ein Stück der Treppe davor, ebenfalls auszubleichen und hinterließ so seinen Schatten.
Zum Thema solch einer Ausstellung können einem eigentlich nur zwei Worte einfallen: "Nie wieder!" Mit dieser schrecklichen und lehrreichen Ausstellung endet unser Tagesprogramm. Mit dem Bus fahren wir wieder zu den Hotels zurück und verabschieden uns. Inzwischen ist es dunkel. Ich mache nur fünf Minuten Pause im Hotel und begebe mich dann auf die Suche nach einem Restaurant, in dem ich eine Spezialität der Gegend hier essen kann: Gebratenen Aal. Der zweite Stock eines Einkaufszentrums ist eine "Restaurantetage". Dort finde ich ein passendes Lokal. Zu dem Aal gibt es Reis, eine Miso-Suppe und zwei Arten eingelegten Rettich. Das Essen ist gut und mit 1050 Yen preiswert. Nach dem Essen gehe ich etwas spazieren und besorge mir zum Abschluss des Tages in einem Supermarkt zwei Yebisu Premium Pilsener, damit die Minibar im Hotelzimmer kurzzeitig mal richtig voll wird.